Stadtverwaltung Wiesbaden – „kultureller“ Notstand macht krank

Weil etwa 1.000 Mitarbeiter der Stadtverwaltung Wiesbaden aufgrund von Langzeiterkrankungen permanent nicht dienstfähig sind, wurde bereits in 2012 ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Bielefelder Soziologie-Professor Badura sollte die Gründe für den im Vergleich zu anderen Kommunen hohen Krankenstand ermitteln. Das Urteil des Experten war vernichtend: Die Stadtverwaltung in Wiesbaden gleicht in seinen Augen eher einem “seelenlosen Apparat” als einer “dynamischen Produktionsgemeinschaft”. In Wiesbaden fehlten Mitarbeiter deutlich öfter als in anderen Städten vergleichbarer Größe. Die Ausfälle kosteten die Stadt pro Jahr etwa 14 Millionen Euro.

 

Mit diesen Fakten liefert die Stadt Wiesbaden leider ein aussagestarkes Beispiel dafür, wie eine negative Organisationskultur Mitarbeiter krank machen kann. So heißt es u.a. im Gutachten: „Die Verwaltung fördert mangelhaften Wissensaustausch, negative Emotionen und Demotivation der Mitarbeiter sowie eine Nichtbeachtung organisatorischer Mängel“. Als Grund für die negative Entwicklung sehen die für die Studie Befragten die Entwicklung des Verwaltungsapparates seit 2004. „Wir haben schon einen sehr massiven Kulturwandel in dieser Stadtverwaltung gehabt, hin zu einer betriebswirtschaftlichen Orientierung – auch mit sehr viel Härte und Stringenz – und da gibt es Leute, die, verbunden mit anderen Faktoren, das so nicht mitgehen können“, sagte einer der Befragten.

 

Die Stadt Wiesbaden versuche zwar, die Stressbelastung durch “körperlich orientierte” Maßnahmen wie beispielsweise der Möglichkeit kostenloser Schwimmbad- oder Fitnessstudiobesuche zu kompensieren. Die Stressursachen blieben jedoch davon unberührt und ungeachtet dieser Präventionsmaßnahmen steigen die Krankheitsfälle weiter an.

 

Als ursächlich identifiziert die Studie die betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Kommune sowie die Leistungsverdichtung an ihren Arbeitsplätzen. Statt eines Kulturwandels hat sich ein Kulturschock eingestellt. Offen scheint aber immer noch, wie dieser überwunden werden soll.

 

Was also tun?

Der Oberbürgermeister ist neu im Amt und damit besteht die Chance, die Situation in der Stadtverwaltung zu verbessern – wenn er an den richtigen Stellschrauben mit dem richtigen Maß dreht. Vor allem braucht es nun Maßnahmen, die schnelle erste Erfolge bringen. Unmittelbar nach der Wahl am 22. September sollten sich die Verantwortlichen dieses Themas annehmen.

 

Erste Gedanken eines Aktionsplans:

 

1.

Organisationen benötigen Sinn, Ziel und Vision! Der neue Bürgermeister hat eine Abkehr von der bisherigen Doktrin, die Kommune sei wie ein Unternehmen zu führen, verkündet. Nun ist relevant, wie das im Detail aussehen wird und was das für jeden in der Verwaltung bedeutet. Was wird sich ändern und wie wird der Weg dahin aussehen? Ein solcher Prozess muss dringend angestoßen werden – bis hin zu der Frage, wie die Corporate Identity der Stadtverwaltung Wiesbaden künftig aussehen wird.

2.           

Kulturveränderungen dürfen sich nicht zufällig ergeben! Dieser Prozess muss gestaltet werden. Am Anfang steht eine Analyse der momentanen Kultur und ihrer Ausprägungen. In einem weiteren Schritt ist die gewünschte und für sinnvoll erachtete Kultur zu beschreiben. Der Vergleich von Soll und Ist zeigt die Handlungsfelder auf und verdeutlicht zudem, wo es den Mitarbeitern weh tut. Jedes Handeln geschieht immer auf dem Boden einer Kultur. Man sollte sie kennen.

3.           

Der Amtsleiter ist kein Status, sondern Verpflichtung und Aufgabe! Mitarbeiter benötigen Orientierung sowie einen verlässlichen Ansprechpartner. Dieses sind die Kernaufgaben von Führungskräften. Sie begleiten zudem ihre Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen. Gute Führung verringert das Risiko für Stress und mindert damit den Krankenstand. Also kann die Devise nur heißen: Weg vom Statusdenken und hin zur Übernahme von Führungsverantwortung. Unterstützt von einem Prozess, der definiert, wie Führung in der Stadtverwaltung Wiesbaden aussehen soll und der alle Führungskräfte entsprechend qualifiziert.

 

Eine verstandene Idee vom Zukunftsbild Wiesbaden, ein Verständnis für die Kultur in der Stadtverwaltung sowie wahrgenommene Führung tun Not. Alle drei Aspekte sind Garanten für die emotionale Bindung von Mitarbeitern an ihren Arbeitgeber und ihre Tätigkeit.

 

Übrigens sind Organisationen, die eine Vision haben, deren Mitarbeiter einen Sinn in der Tätigkeit erkennen, deren Kulturprozesse nicht zufällig verlaufen sondern gestaltet werden und in denen Führungskräfte auch kraftvoll führen, nicht nur deutlich gesünder – sie sind auch erfolgreicher in ihrer Tätigkeit.

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Frank Weber begleitet als Unternehmensberater die Veränderungs- und Entwicklungsprozesse von Personen und Organisationen. Weber ist zudem Hochschuldozent für Change Management, Corporate Identity und Personalführung.

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