literatur-vsm

literatur-vsm

 

Je nachdem, wie innovativ ein Startup ist und wie viel Ungewissheit das Geschäftsmodell mit sich bringt, braucht es unterschiedliche Qualitäten in der Unternehmensentwicklung. Jedes neue Unternehmen und alle Startups haben zumindest eine Sache gemeinsam. Sie stehen vor einem Vorhaben, welches ein gewisses Maß an Ungewissheit mit sich bringt: „Werden wir zu den entsprechenden Zeitpunkten geeignete Investoren finden? Wird der Markt das Produkt annehmen? Können wir uns auf unsere Partner verlassen? Passt die Idee in die heutige Zeit? Werden wir entsprechend flexibel auf sich ändernde Rahmenbedingungen eingehen können?" Solche und viele andere Fragen stellen sich Unternehmensgründer. Je neuer und unbekannter eine Idee und ein Vorhaben sind, desto grösser ist die Ungewissheit. Ich unterscheide aus eigener Erfahrung zwei Gründungstypen:

 

 

 

Der erprobte Gründungstyp 1

 

Bei Gründungstyp 1 ist der Zielgruppe das Geschäftsmodell schon bekannt und es ist bewiesen, dass es grundsätzlich funktioniert. Die Gewissheit ist damit relativ hoch. Der Gründer kann in diesem Fall davon ausgehen, dass auch seine Unternehmung gelingen wird, solange der Markt – und damit die Nachfrage – groß genug ist, dass auch er als weiterer neuer Anbieter bestehen kann. Die größte Hürde besteht darin, die Ungewissheit der Markteintrittsbarrieren zu überwinden, um das neue Unternehmen zum Erfolg zu führen. Aus den eigenen Erfahrungen des Gründers und aus der Beobachtung des Wettbewerbs können die Erfolgsfaktoren abgeleitet werden, die es zu beherzigen gilt. Wie gut Copycat (http://www.gruenderszene.de/lexikon/begriffe/copycat) als passendes Beispiel für den Gründungstyp 1 funktioniert, wurde bereits mehrfach eindrücklich unter Beweis gestellt.

 

 

 

Der innovative Gründungstyp 2

 

Anders stellt sich Gründungstyp 2 dar: Insofern das zu etablierende Vorhaben sehr innovativ, also nützlich aber auch neu und am Markt noch nicht probiert oder eingeführt ist, steckt es voller Ungewissheit. Es ist nicht nur unbekannt, ob die Zielgruppe das neue Unternehmen mögen wird, sondern es ist auch noch gar nicht klar, ob sich eine gute Produktlösung finden lässt und der Markt das Produkt oder die Dienstleistung überhaupt annehmen wird. Bei einem besonders innovativen Geschäftsmodell ist es wichtig, kleine Schritte zu gehen und das Produkt oder die Dienstleistung möglichst schnell als Prototyp bei den Kunden zu testen und das Gelernte in die zukünftigen Handlungen mit einzubeziehen. Das innovative Unternehmen zeigt sich von Anfang an flexibel und passt sich ständig dem Markt an, um auf Dauer zu bestehen. Unternehmenstyp 2 ist mindestens so lange im stetigen Wandel, bis sich das neue Geschäftsmodell breit am Markt etablieren konnte und es vielleicht schon erste Nachahmer gibt.

 

 

 

Der Umgang mit Ungewissheit bei Gründungstyp 2

 

Die Ungewissheit bei Gründungstyp2 trägt im Idealfall dazu bei, dass der Unternehmer wach, offen und neugierig im Bezug auf die Möglichkeiten und Chancen ist, die sich ihm bieten. Das Unternehmen sollte sich seiner Stärken bewusst sein, aber flexibel auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren können. Wer den Umgang mit Ungewissheit als Motivation oder zumindest als Herausforderung sieht, vermeidet, dass sich schädigende Angst vor der Zukunft im Unternehmen breit macht. Der Unternehmer kann dann zuversichtlich in die Zukunft blicken, wenn er sich die Tragbarkeit der Konsequenzen, die im schlimmsten Fall eintreten können bewusst macht. Insofern eine Entscheidung ansteht, sollte bedacht werden, wie sehr der größte anzunehmende Schaden sein könnte und ob er er die eigene Existenz bedroht. Der Unternehmer sollte immer nur so viel investieren, wie er zu verlieren bereit ist. Dadurch ist er in der Lage, relativ viel Ungewissheit auszuhalten und sich an neue Produkte oder Geschäftsmodelle heranzuwagen. Ist Scheitern zulässig und vertretbar, lässt sich Ungewissheit leichter aushalten.

 

 

 

Mit Effectuation immer den nächsten guten Schritt finden

 

Für Gründungstyp2 ist es außerdem hilfreich, überschaubare Schritte zu gehen und viel Raum für weitere Entscheidungen zu lassen, wie die nächsten Schritte sein sollen. Um in einem ungewissen oder sich wandelnden Marktumfeld immer wieder gute Wege der Weiterentwicklung zu finden, eignet sich unserer Erfahrung nach Effectuation besonders gut. Effectuation ist in einem ungewissen Umfeld eine unternehmerische Denkhaltung, die auf vier Säulen basiert (http://de.wikipedia.org/wiki/Effectuation). Die positive Beantwortung folgender vier Fragen können eine anstehende ungewisse Entscheidungen vereinfachen:
1. Stehen uns die benötigen Mittel zur Verfügung?
2. Können wir uns den möglichen Verlust leisten?
3. Welche Chancen und Zufälle fördern unser Vorhaben?
4. Lassen sich mit unseren Partnern Vereinbarungen treffen?

 

Als praktisches Hilfsmittel in der Unternehmensentwicklung für diejenigen, die sich intensiver mit Effectuation auseinander setzen wollen, empfiehlt sich darüber hinaus die „Effectuation Map". Die darin verwendeten Fragen führen durch den Effectuationprozess und jeweils zu guten nächsten Schritten. Die ersten Fragen beziehen sich auf den Anlass bzw. den Sinn des Vorhabens. Darin verbirgt sich die Motivation, sich auf den Weg zu machen. Mit den nächsten Fragen wird überprüft, ob die Ungewissheit im Vorhaben so groß ist, dass die Anwendung der Effectuationprinzipien empfehlenswert ist. Die weiteren Fragen in der Effectuation MAP fokussieren auf die Effectuationprinzipien „Means“, „Affortable Loss“ und „Partnership“. Im Bereich „Means“ wird nach den eigenen Interessen, Fähigkeiten und Beziehungen gefragt.  Bei „Affortable Loss“ geht es um die Klärung, wie viel jeweils aufs Spiel gesetzt werden soll. Die Fragen im Bereich „Partnership“ machen bewusst, inwiefern die Partnerschaften gezielt weiterentwickelt werden sollten. Alles zusammen hilft schließlich, die abschließenden Fragen nach dem passenden nächsten Schritt zu beantworten. Mit der übersichtlichen Darstellung in der MAP wird es leichter, die Antworten so aufeinander abzustimmen, dass ein stimmiges Gesamtbild entsteht. Schließlich soll der nächste Schritt gut zu den zuvor abgefragten Themen passen. Mit diesem iterativen Fortschrittsprinzip haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, und es hilft uns dabei, Entscheidungen zu treffen, mit welchen wir uns wohl fühlen.

Außerdem folgen wir in unserem Handeln gerne dem dazu passenden Prinzip von Alberto Savoia: „Versichere dich, dass du das Richtige baust, bevor du es richtig baust."

 

 

 

Gratis Download der Effecutation Map unter: http://www.innerinnovation.de/wp-content/uploads/2014/12/Effectuation-Grid-Matrix.pdf

 

 

 

 

 

Weiterführende Literatur

 

InnerInnovation – Innovationen aus eigenem Anbau. Bernd und Ulrike Buck, ISBN: 978-3-902155-20-7, literatur-vsm 2014

 

 

 

 

 

Über die Autorin:

 

Ulrike Buck, diplomierte Kommunikations-Designerin, deren Diplomarbeit mit einem Red Dot ausgezeichnet wurde, ist Gründerin und Kreativ-Chefin der seit dem Jahr 2003 bestehenden Marketingagentur heretonow GmbH mit Leistungen in den Bereichen Erlebniskommunikation, Incentivierung, Mitarbeitermotivation und zwei- und dreidimensionales Design mit Sitz in Berlin. www.heretonow.de

 

 

Freitag, 17 April 2015 08:44

Training in China von Brigitte Ott-Göbel

 

„Der, der eine Frage stellt, ist für fünf Minuten ein Dummkopf.
Der, der nicht fragt, bleibt für immer einer.“ (Chinesische Weisheit)

Chinesische Teilnehmer zu trainieren, muss die reinste Freude sein, sollte man denken. Mit Mitarbeitern zu arbeiten, die Neues für sich entdecken, mag gleichermaßen spannend erscheinen. Der Bildungshunger der Chinesen und die sprichwörtliche Lust am Lernen sind allgemein bekannt. In der Aus- und Weiterbildung, in Trainings mit chinesischen Teilnehmern sind jedenfalls einige Besonderheiten zu beachten. In der Beantwortung folgender Fragen auch durch erfahrene Trainingsexperten werden die wesentlichsten Punkte erklärt:

 

  • Welche Methoden der Stoffvermittlung erweisen sich als geeignet, welche sind weniger kulturkompatibel?

  • Wie geht man mit dem Phänomen um, dass sich Einzelne nicht gerne aus der Masse hervorheben?

  • Wie erreicht man in einer Kultur der indirekten Kommunikation und des Konzepts „Gesicht wahren“, dass Teilnehmer sich gegenseitig vor der Gruppe Feedback geben?

 

Ich habe mehrere in China tätige Trainingsexperten befragt, welche Erfahrungen sie mit interaktiven Trainingsmethoden gemacht haben. Unter anderem habe ich mit Claudia Schmitz gesprochen. Sie arbeitet als Facilitator für globale Unternehmen und bringt Managern in vielen Ländern unternehmerisches Denken und Handeln bei.

 

Ich frage sie nach den Hauptunterschieden zwischen chinesischen und deutschen Teilnehmern und sie berichtet: „Die deutschen Teilnehmer haben oft die Einstellung: ‚Das kennen wir sowieso schon alles‘. Oder sie sagen: ‚Bei uns ist das sowieso alles anders‘. Das machen Chinesen nie. Die hören gut zu beim Briefing und stellen dann jede Menge intelligente Fragen. Ich habe öfters erlebt bei chinesischen Gruppen, dass sie mir Fragen gestellt haben, die mich Gruppen von Europäern noch nie gefragt haben. Während die Deutschen schnell fertig sein oder unbedingt gewinnen wollen, nutzen die Chinesen einfach die Chance des Spiels, um sich richtig tief reinzudenken.“ Nachgefragt, welche Erklärung sie für diesen anderen Lernansatz hat, beschreibt Claudia Schmitz die unterschiedliche Einstellung näher: „Erstens gehen sie davon aus, dass man immer lernen kann. Dazu kommt der Respekt vor dem Redner, man ist sich darüber im Klaren, der weiß viel, da fragen wir auch vertieft nach.“ 

Über zielführende Methoden der Stoffvermittlung habe ich auch mit Katrin Koch gesprochen, die bis vor kurzem als Geschäftsführerin eines weltweit tätigen deutschen Trainingsanbieters in Peking arbeitete. Ihr Unternehmen entwickelt Trainingsprogramme für Führungskräfte und Mitarbeiter internationaler Unternehmen. Gerade in Führungskräfte –Trainings wird hierzulande oft mit interaktiven Methoden wie Rollenspielen und offenem Feedback gearbeitet.  

Ich will von ihr wissen, welche Methoden gut funktionieren und was man nicht so gut anwenden kann. Ihre Antwort: „Alles, was interaktiv verspielt ist, auch Rollenspiele, funktioniert gut. Es gibt anfänglich eine gewisse Barriere. Die Teilnehmer sind reserviert gegenüber der Methode, aber wenn man die Methode gut einführt und es dann ausprobiert, machen alle super mit. Das Thema Feedback ist schwierig. Sich gegenseitig Feedback geben zu lassen, muss man wirklich eintrainieren, um die Angst vor dem Gesichtsverlust zu nehmen. Wenn man das nicht vorher trainiert hat, geht es schief. Dann kommt nur lauwarmes Blabla, die Themen kommen nicht auf den Tisch und dann ist es eigentlich wertlos.“ 

Dies entspricht auch meiner Erfahrung. Kritisches Feedback wird in der Regel nicht offen ausgesprochen, sondern auf anderem Wege übermittelt. Sei es, dass die Botschaft über einen Dritten, möglicherweise in der Firmenhierarchie höher angesiedelt, kommuniziert wird. Sei es, dass gar kein Feedback geäußert wird und nur beispielsweise keine weitere Beauftragung erfolgt. Man kann dann lange nach Gründen forschen und versuchen, über einen internationalen Gesprächspartner im Unternehmen eine Rückmeldung zu bekommen.
 

Ich frage den Akademieleiter eines großen deutschen Automobilherstellers, Volker Schulze-Permentier, wie er Kreativität und Problemlösungsfähigkeit bei seinen Mitarbeitern in der Trainingsakademie wahrgenommen hat. Seiner Meinung nach ist das ein schwieriges Thema. „Kreativität gehört bei den Kollegen eher in den privaten Bereich. Sie können unglaublich viel Spaß haben beim Bauen, Schminken, Verkleiden, da sind sie überall schnell dabei und sehr begeisterungsfähig. Aber es gehört nicht in den geschäftlichen Kontext. Da ist man ein guter Trainer oder eine zuverlässige Mitarbeiterin in der Seminarorganisation. Man ist der Auffassung: Ich arbeite hart für ein Ziel. Ich lerne etwas, dann beweise ich, dass ich es kann. Und da bin ich gut. Super Note, super Studienabschluss. Mir hat nie einer gesagt, du bist toll, weil du etwas Außerordentliches gemacht hast.“ Aber wie hat er trotzdem versucht, Kreativität in die Mannschaft hineinzubekommen, denn in einem Trainingsbereich ist dies notwendig? „Durch Vorleben.“ Und wie reagieren die Chinesen dann? „Zuerst belustigt, aber dann sagen sie sich: Wenn die Anderen Spaß haben, dann können wir das auch. Vor allem beim Verkaufstraining haben wir das praktiziert. Ich habe aus diesem Grund die Teamleitung dafür mit einem deutschen Expat besetzt. Das hat auch gut funktioniert, nach drei Jahren hatten die Kollegen das internalisiert. Wenn es funktioniert, können Chinesen deutlich kreativer sein als Deutsche. Weil sie während der Kreativphase keinerlei Überprüfung der Realität machen. Bei Deutschen findet schnell ein Abgleich statt: ‚Das hatten wir schon, das funktioniert eh nicht‘ … das machen die Chinesen nicht.“
 

Die Erfahrungen der befragten Trainingsexperten sowie meine eigenen lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die Beachtung dieser Punkte gewährleistet eine erfolgreiche Durchführung:
 

  • Chinesische Seminarteilnehmer sind motiviert, aufmerksam, wissbegierig und stellen gerne viele Fragen an den Seminarleiter.

  • Grundsätzlich spielt bei der Frage der Anwendbarkeit interaktiver Methoden das Alter der Teilnehmer sowie der Trainer eine große Rolle.

  • Im Westen entwickelte Trainingskonzepte müssen an die chinesische Kultur angepasst werden, möglichst unter Hinzuziehung von chinesischen Kollegen.

  • Spielerische Methoden wie Rollenspiele oder Metaplan funktionieren gut, wenn man sie präzise erklärt und sowohl die Zielsetzung als auch den Zweck begründet.

  • Kritisches Feedback an Teilnehmer vor der Gruppe sowie offenes Feedback an den Trainer vor der gesamten Gruppe sind schwierig bis unmöglich.

  • Teamentwicklungen und Strategietagungen nach westlichem Muster müssen in China angepasst werden: Der Aspekt gemeinsam Spaß zu haben, ist ein wesentlicher Bestandteil. Inhalte haben demgegenüber ein geringeres Gewicht.

  • Die Moderationsfähigkeiten der Chinesen sowie ihre Fähigkeit zu Teamarbeit sind weniger entwickelt als im Westen.

 Über die Autorin: 

Brigitte Ott-Göbel

ist Diplom-Betriebswirtin mit über 25 Jahren Berufserfahrung als Managerin im internationalen Vertrieb der Automobilbranche und viel Erfahrung in Joint Venture-Projekten mit chinesischen Partnern. Seit 2009 arbeitet sie als selbständige Beraterin, Trainerin und systemischer Coach für Führungskräfte und unterrichtet an Hochschulen MBA-Studenten in Deutschland und China.

www.ott-goebel-consulting.com
 

Weiterführende Literatur:

Vom Drachen zum Panda – Führen, Lehren und Lernen im modernen China

Brigitte Ott-Göbel

188 Seiten, EUR 24,90

ISBN: 978-3-902155-21-4, 1. Auflage 2015, kt.
www.literatur-vsm.at

Chinas Gesellschaft verändert sich rasant. Die China-Expertin Brigitte Ott-Göbel beleuchtet die Wertvor­stellungen der jungen Generation in China: In einem Klima des wachsenden Wohlstands aufgewachsen, als Einzelkind verwöhnt von Eltern und Großeltern, durch Internet und soziale Medien umfassend vernetzt treten junge Chinesen im Beruf ganz anders auf als die Generationen zuvor. Sie sind clever, selbstbewusst und anspruchsvoll. 

Welche Führungsmethoden sind geeignet in der Zusammenarbeit mit den Vertretern dieses modernen China? Welche Methoden in der Ausbildung führen zum Ziel, wie verändert sich die Lernkultur? Wie gehe ich an Beratungsaufträge heran? Diese Fragen diskutiert Brigitte Ott-Göbel mit zahlreichen westlichen und chinesischen Führungskräften und Experten und gibt Empfehlungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. 
 

Eine wertvolle Lektüre für alle, die beruflich mit China zu tun haben.

 

Freitag, 17 April 2015 08:44

Training in China von Brigitte Ott-Göbel

 

„Der, der eine Frage stellt, ist für fünf Minuten ein Dummkopf.
Der, der nicht fragt, bleibt für immer einer.“ (Chinesische Weisheit)

 

  

Chinesische Teilnehmer zu trainieren, muss die reinste Freude sein, sollte man denken. Mit Mitarbeitern zu arbeiten, die Neues für sich entdecken, mag gleichermaßen spannend erscheinen. Der Bildungshunger der Chinesen und die sprichwörtliche Lust am Lernen sind allgemein bekannt. In der Aus- und Weiterbildung, in Trainings mit chinesischen Teilnehmern sind jedenfalls einige Besonderheiten zu beachten. In der Beantwortung folgender Fragen auch durch erfahrene Trainingsexperten werden die wesentlichsten Punkte erklärt:

 

  • Welche Methoden der Stoffvermittlung erweisen sich als geeignet, welche sind weniger kulturkompatibel?

  • Wie geht man mit dem Phänomen um, dass sich Einzelne nicht gerne aus der Masse hervorheben?

  • Wie erreicht man in einer Kultur der indirekten Kommunikation und des Konzepts „Gesicht wahren“, dass Teilnehmer sich gegenseitig vor der Gruppe Feedback geben?

Ich habe mehrere in China tätige Trainingsexperten befragt, welche Erfahrungen sie mit interaktiven Trainingsmethoden gemacht haben. Unter anderem habe ich mit Claudia Schmitz gesprochen. Sie arbeitet als Facilitator für globale Unternehmen und bringt Managern in vielen Ländern unternehmerisches Denken und Handeln bei.

 

 

Ich frage sie nach den Hauptunterschieden zwischen chinesischen und deutschen Teilnehmern und sie berichtet: „Die deutschen Teilnehmer haben oft die Einstellung: ‚Das kennen wir sowieso schon alles‘. Oder sie sagen: ‚Bei uns ist das sowieso alles anders‘. Das machen Chinesen nie. Die hören gut zu beim Briefing und stellen dann jede Menge intelligente Fragen. Ich habe öfters erlebt bei chinesischen Gruppen, dass sie mir Fragen gestellt haben, die mich Gruppen von Europäern noch nie gefragt haben. Während die Deutschen schnell fertig sein oder unbedingt gewinnen wollen, nutzen die Chinesen einfach die Chance des Spiels, um sich richtig tief reinzudenken.“ Nachgefragt, welche Erklärung sie für diesen anderen Lernansatz hat, beschreibt Claudia Schmitz die unterschiedliche Einstellung näher: „Erstens gehen sie davon aus, dass man immer lernen kann. Dazu kommt der Respekt vor dem Redner, man ist sich darüber im Klaren, der weiß viel, da fragen wir auch vertieft nach.“ 

 

Über zielführende Methoden der Stoffvermittlung habe ich auch mit Katrin Koch gesprochen, die bis vor kurzem als Geschäftsführerin eines weltweit tätigen deutschen Trainingsanbieters in Peking arbeitete. Ihr Unternehmen entwickelt Trainingsprogramme für Führungskräfte und Mitarbeiter internationaler Unternehmen. Gerade in Führungskräfte –Trainings wird hierzulande oft mit interaktiven Methoden wie Rollenspielen und offenem Feedback gearbeitet.  

 

Ich will von ihr wissen, welche Methoden gut funktionieren und was man nicht so gut anwenden kann. Ihre Antwort: „Alles, was interaktiv verspielt ist, auch Rollenspiele, funktioniert gut. Es gibt anfänglich eine gewisse Barriere. Die Teilnehmer sind reserviert gegenüber der Methode, aber wenn man die Methode gut einführt und es dann ausprobiert, machen alle super mit. Das Thema Feedback ist schwierig. Sich gegenseitig Feedback geben zu lassen, muss man wirklich eintrainieren, um die Angst vor dem Gesichtsverlust zu nehmen. Wenn man das nicht vorher trainiert hat, geht es schief. Dann kommt nur lauwarmes Blabla, die Themen kommen nicht auf den Tisch und dann ist es eigentlich wertlos.“

 

Dies entspricht auch meiner Erfahrung. Kritisches Feedback wird in der Regel nicht offen ausgesprochen, sondern auf anderem Wege übermittelt. Sei es, dass die Botschaft über einen Dritten, möglicherweise in der Firmenhierarchie höher angesiedelt, kommuniziert wird. Sei es, dass gar kein Feedback geäußert wird und nur beispielsweise keine weitere Beauftragung erfolgt. Man kann dann lange nach Gründen forschen und versuchen, über einen internationalen Gesprächspartner im Unternehmen eine Rückmeldung zu bekommen.

 

Ich frage den Akademieleiter eines großen deutschen Automobilherstellers, Volker Schulze-Permentier, wie er Kreativität und Problemlösungsfähigkeit bei seinen Mitarbeitern in der Trainingsakademie wahrgenommen hat. Seiner Meinung nach ist das ein schwieriges Thema. „Kreativität gehört bei den Kollegen eher in den privaten Bereich. Sie können unglaublich viel Spaß haben beim Bauen, Schminken, Verkleiden, da sind sie überall schnell dabei und sehr begeisterungsfähig. Aber es gehört nicht in den geschäftlichen Kontext. Da ist man ein guter Trainer oder eine zuverlässige Mitarbeiterin in der Seminarorganisation. Man ist der Auffassung: Ich arbeite hart für ein Ziel. Ich lerne etwas, dann beweise ich, dass ich es kann. Und da bin ich gut. Super Note, super Studienabschluss. Mir hat nie einer gesagt, du bist toll, weil du etwas Außerordentliches gemacht hast.“ Aber wie hat er trotzdem versucht, Kreativität in die Mannschaft hineinzubekommen, denn in einem Trainingsbereich ist dies notwendig? „Durch Vorleben.“ Und wie reagieren die Chinesen dann? „Zuerst belustigt, aber dann sagen sie sich: Wenn die Anderen Spaß haben, dann können wir das auch. Vor allem beim Verkaufstraining haben wir das praktiziert. Ich habe aus diesem Grund die Teamleitung dafür mit einem deutschen Expat besetzt. Das hat auch gut funktioniert, nach drei Jahren hatten die Kollegen das internalisiert. Wenn es funktioniert, können Chinesen deutlich kreativer sein als Deutsche. Weil sie während der Kreativphase keinerlei Überprüfung der Realität machen. Bei Deutschen findet schnell ein Abgleich statt: ‚Das hatten wir schon, das funktioniert eh nicht‘ … das machen die Chinesen nicht.“

 

Die Erfahrungen der befragten Trainingsexperten sowie meine eigenen lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die Beachtung dieser Punkte gewährleistet eine erfolgreiche Durchführung:

 

  • Chinesische Seminarteilnehmer sind motiviert, aufmerksam, wissbegierig und stellen gerne viele Fragen an den Seminarleiter.

  • Grundsätzlich spielt bei der Frage der Anwendbarkeit interaktiver Methoden das Alter der Teilnehmer sowie der Trainer eine große Rolle.

  • Im Westen entwickelte Trainingskonzepte müssen an die chinesische Kultur angepasst werden, möglichst unter Hinzuziehung von chinesischen Kollegen.

  • Spielerische Methoden wie Rollenspiele oder Metaplan funktionieren gut, wenn man sie präzise erklärt und sowohl die Zielsetzung als auch den Zweck begründet.

  • Kritisches Feedback an Teilnehmer vor der Gruppe sowie offenes Feedback an den Trainer vor der gesamten Gruppe sind schwierig bis unmöglich.

  • Teamentwicklungen und Strategietagungen nach westlichem Muster müssen in China angepasst werden: Der Aspekt gemeinsam Spaß zu haben, ist ein wesentlicher Bestandteil. Inhalte haben demgegenüber ein geringeres Gewicht.

  • Die Moderationsfähigkeiten der Chinesen sowie ihre Fähigkeit zu Teamarbeit sind weniger entwickelt als im Westen.

 

 

Über die Autorin:

 

Brigitte Ott-Göbel

ist Diplom-Betriebswirtin mit über 25 Jahren Berufserfahrung als Managerin im internationalen Vertrieb der Automobilbranche und viel Erfahrung in Joint Venture-Projekten mit chinesischen Partnern. Seit 2009 arbeitet sie als selbständige Beraterin, Trainerin und systemischer Coach für Führungskräfte und unterrichtet an Hochschulen MBA-Studenten in Deutschland und China.

www.ott-goebel-consulting.com

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Vom Drachen zum Panda – Führen, Lehren und Lernen im modernen China

Brigitte Ott-Göbel

188 Seiten, EUR 24,90

ISBN: 978-3-902155-21-4, 1. Auflage 2015, kt.
www.literatur-vsm.at

Chinas Gesellschaft verändert sich rasant. Die China-Expertin Brigitte Ott-Göbel beleuchtet die Wertvor­stellungen der jungen Generation in China: In einem Klima des wachsenden Wohlstands aufgewachsen, als Einzelkind verwöhnt von Eltern und Großeltern, durch Internet und soziale Medien umfassend vernetzt treten junge Chinesen im Beruf ganz anders auf als die Generationen zuvor. Sie sind clever, selbstbewusst und anspruchsvoll.

 

Welche Führungsmethoden sind geeignet in der Zusammenarbeit mit den Vertretern dieses modernen China? Welche Methoden in der Ausbildung führen zum Ziel, wie verändert sich die Lernkultur? Wie gehe ich an Beratungsaufträge heran? Diese Fragen diskutiert Brigitte Ott-Göbel mit zahlreichen westlichen und chinesischen Führungskräften und Experten und gibt Empfehlungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

 

Eine wertvolle Lektüre für alle, die beruflich mit China zu tun haben.

 

Freitag, 17 April 2015 08:44

Training in China von Brigitte Ott-Göbel

 

„Der, der eine Frage stellt, ist für fünf Minuten ein Dummkopf.
Der, der nicht fragt, bleibt für immer einer.“ (Chinesische Weisheit)

 

  

Chinesische Teilnehmer zu trainieren, muss die reinste Freude sein, sollte man denken. Mit Mitarbeitern zu arbeiten, die Neues für sich entdecken, mag gleichermaßen spannend erscheinen. Der Bildungshunger der Chinesen und die sprichwörtliche Lust am Lernen sind allgemein bekannt. In der Aus- und Weiterbildung, in Trainings mit chinesischen Teilnehmern sind jedenfalls einige Besonderheiten zu beachten. In der Beantwortung folgender Fragen auch durch erfahrene Trainingsexperten werden die wesentlichsten Punkte erklärt:

 

  • Welche Methoden der Stoffvermittlung erweisen sich als geeignet, welche sind weniger kulturkompatibel?

  • Wie geht man mit dem Phänomen um, dass sich Einzelne nicht gerne aus der Masse hervorheben?

  • Wie erreicht man in einer Kultur der indirekten Kommunikation und des Konzepts „Gesicht wahren“, dass Teilnehmer sich gegenseitig vor der Gruppe Feedback geben?

Ich habe mehrere in China tätige Trainingsexperten befragt, welche Erfahrungen sie mit interaktiven Trainingsmethoden gemacht haben. Unter anderem habe ich mit Claudia Schmitz gesprochen. Sie arbeitet als Facilitator für globale Unternehmen und bringt Managern in vielen Ländern unternehmerisches Denken und Handeln bei.

 

 

Ich frage sie nach den Hauptunterschieden zwischen chinesischen und deutschen Teilnehmern und sie berichtet: „Die deutschen Teilnehmer haben oft die Einstellung: ‚Das kennen wir sowieso schon alles‘. Oder sie sagen: ‚Bei uns ist das sowieso alles anders‘. Das machen Chinesen nie. Die hören gut zu beim Briefing und stellen dann jede Menge intelligente Fragen. Ich habe öfters erlebt bei chinesischen Gruppen, dass sie mir Fragen gestellt haben, die mich Gruppen von Europäern noch nie gefragt haben. Während die Deutschen schnell fertig sein oder unbedingt gewinnen wollen, nutzen die Chinesen einfach die Chance des Spiels, um sich richtig tief reinzudenken.“ Nachgefragt, welche Erklärung sie für diesen anderen Lernansatz hat, beschreibt Claudia Schmitz die unterschiedliche Einstellung näher: „Erstens gehen sie davon aus, dass man immer lernen kann. Dazu kommt der Respekt vor dem Redner, man ist sich darüber im Klaren, der weiß viel, da fragen wir auch vertieft nach.“ 

 

Über zielführende Methoden der Stoffvermittlung habe ich auch mit Katrin Koch gesprochen, die bis vor kurzem als Geschäftsführerin eines weltweit tätigen deutschen Trainingsanbieters in Peking arbeitete. Ihr Unternehmen entwickelt Trainingsprogramme für Führungskräfte und Mitarbeiter internationaler Unternehmen. Gerade in Führungskräfte –Trainings wird hierzulande oft mit interaktiven Methoden wie Rollenspielen und offenem Feedback gearbeitet.  

 

Ich will von ihr wissen, welche Methoden gut funktionieren und was man nicht so gut anwenden kann. Ihre Antwort: „Alles, was interaktiv verspielt ist, auch Rollenspiele, funktioniert gut. Es gibt anfänglich eine gewisse Barriere. Die Teilnehmer sind reserviert gegenüber der Methode, aber wenn man die Methode gut einführt und es dann ausprobiert, machen alle super mit. Das Thema Feedback ist schwierig. Sich gegenseitig Feedback geben zu lassen, muss man wirklich eintrainieren, um die Angst vor dem Gesichtsverlust zu nehmen. Wenn man das nicht vorher trainiert hat, geht es schief. Dann kommt nur lauwarmes Blabla, die Themen kommen nicht auf den Tisch und dann ist es eigentlich wertlos.“

 

Dies entspricht auch meiner Erfahrung. Kritisches Feedback wird in der Regel nicht offen ausgesprochen, sondern auf anderem Wege übermittelt. Sei es, dass die Botschaft über einen Dritten, möglicherweise in der Firmenhierarchie höher angesiedelt, kommuniziert wird. Sei es, dass gar kein Feedback geäußert wird und nur beispielsweise keine weitere Beauftragung erfolgt. Man kann dann lange nach Gründen forschen und versuchen, über einen internationalen Gesprächspartner im Unternehmen eine Rückmeldung zu bekommen.

 

Ich frage den Akademieleiter eines großen deutschen Automobilherstellers, Volker Schulze-Permentier, wie er Kreativität und Problemlösungsfähigkeit bei seinen Mitarbeitern in der Trainingsakademie wahrgenommen hat. Seiner Meinung nach ist das ein schwieriges Thema. „Kreativität gehört bei den Kollegen eher in den privaten Bereich. Sie können unglaublich viel Spaß haben beim Bauen, Schminken, Verkleiden, da sind sie überall schnell dabei und sehr begeisterungsfähig. Aber es gehört nicht in den geschäftlichen Kontext. Da ist man ein guter Trainer oder eine zuverlässige Mitarbeiterin in der Seminarorganisation. Man ist der Auffassung: Ich arbeite hart für ein Ziel. Ich lerne etwas, dann beweise ich, dass ich es kann. Und da bin ich gut. Super Note, super Studienabschluss. Mir hat nie einer gesagt, du bist toll, weil du etwas Außerordentliches gemacht hast.“ Aber wie hat er trotzdem versucht, Kreativität in die Mannschaft hineinzubekommen, denn in einem Trainingsbereich ist dies notwendig? „Durch Vorleben.“ Und wie reagieren die Chinesen dann? „Zuerst belustigt, aber dann sagen sie sich: Wenn die Anderen Spaß haben, dann können wir das auch. Vor allem beim Verkaufstraining haben wir das praktiziert. Ich habe aus diesem Grund die Teamleitung dafür mit einem deutschen Expat besetzt. Das hat auch gut funktioniert, nach drei Jahren hatten die Kollegen das internalisiert. Wenn es funktioniert, können Chinesen deutlich kreativer sein als Deutsche. Weil sie während der Kreativphase keinerlei Überprüfung der Realität machen. Bei Deutschen findet schnell ein Abgleich statt: ‚Das hatten wir schon, das funktioniert eh nicht‘ … das machen die Chinesen nicht.“

 

Die Erfahrungen der befragten Trainingsexperten sowie meine eigenen lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die Beachtung dieser Punkte gewährleistet eine erfolgreiche Durchführung:

 

  • Chinesische Seminarteilnehmer sind motiviert, aufmerksam, wissbegierig und stellen gerne viele Fragen an den Seminarleiter.

  • Grundsätzlich spielt bei der Frage der Anwendbarkeit interaktiver Methoden das Alter der Teilnehmer sowie der Trainer eine große Rolle.

  • Im Westen entwickelte Trainingskonzepte müssen an die chinesische Kultur angepasst werden, möglichst unter Hinzuziehung von chinesischen Kollegen.

  • Spielerische Methoden wie Rollenspiele oder Metaplan funktionieren gut, wenn man sie präzise erklärt und sowohl die Zielsetzung als auch den Zweck begründet.

  • Kritisches Feedback an Teilnehmer vor der Gruppe sowie offenes Feedback an den Trainer vor der gesamten Gruppe sind schwierig bis unmöglich.

  • Teamentwicklungen und Strategietagungen nach westlichem Muster müssen in China angepasst werden: Der Aspekt gemeinsam Spaß zu haben, ist ein wesentlicher Bestandteil. Inhalte haben demgegenüber ein geringeres Gewicht.

  • Die Moderationsfähigkeiten der Chinesen sowie ihre Fähigkeit zu Teamarbeit sind weniger entwickelt als im Westen.

 

 

Über die Autorin:

 

Brigitte Ott-Göbel

ist Diplom-Betriebswirtin mit über 25 Jahren Berufserfahrung als Managerin im internationalen Vertrieb der Automobilbranche und viel Erfahrung in Joint Venture-Projekten mit chinesischen Partnern. Seit 2009 arbeitet sie als selbständige Beraterin, Trainerin und systemischer Coach für Führungskräfte und unterrichtet an Hochschulen MBA-Studenten in Deutschland und China.

www.ott-goebel-consulting.com

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Vom Drachen zum Panda – Führen, Lehren und Lernen im modernen China

Brigitte Ott-Göbel

188 Seiten, EUR 24,90

ISBN: 978-3-902155-21-4, 1. Auflage 2015, kt.
www.literatur-vsm.at

Chinas Gesellschaft verändert sich rasant. Die China-Expertin Brigitte Ott-Göbel beleuchtet die Wertvor­stellungen der jungen Generation in China: In einem Klima des wachsenden Wohlstands aufgewachsen, als Einzelkind verwöhnt von Eltern und Großeltern, durch Internet und soziale Medien umfassend vernetzt treten junge Chinesen im Beruf ganz anders auf als die Generationen zuvor. Sie sind clever, selbstbewusst und anspruchsvoll.

 

Welche Führungsmethoden sind geeignet in der Zusammenarbeit mit den Vertretern dieses modernen China? Welche Methoden in der Ausbildung führen zum Ziel, wie verändert sich die Lernkultur? Wie gehe ich an Beratungsaufträge heran? Diese Fragen diskutiert Brigitte Ott-Göbel mit zahlreichen westlichen und chinesischen Führungskräften und Experten und gibt Empfehlungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

 

Eine wertvolle Lektüre für alle, die beruflich mit China zu tun haben.

 

Montag, 20 Oktober 2014 07:05

Was ist die relevante Wirklichkeit?

Der Weg zu einer Innovation ist ein Erkenntnisprozess. Eine Innovation zu schaffen, bedeutet, neues Wissen zu erlangen, das in dieser Form bisher noch nicht zur Verfügung stand. Daher ist es für innovative Unternehmen – bzw. für diejenigen, die es werden wollen – wichtig, ein grundlegendes Verständnis für die Welt des Wissens aufzubauen. Der im Folgenden beschriebene dreidimensionale Raum hilft dabei.

 

Mit dem Wissen ist es ähnlich wie mit der Energie. Alle sprechen von deren Erzeugung oder Vernichtung, doch eigentlich steckt dahinter nur eine Umwandlung von einer Form in eine andere. Von der gesamten, für ein Innovationsvorhaben relevanten Wirklichkeit ist zunächst wie bei einem Eisberg nur ein kleiner Teil sichtbar. Mit diesem Teil ist das bewusste, explizite Wissen gemeint. Der ganze riesige Rest der übrigen relevanten Wirklichkeit existiert als implizites Wissen, unbewusstes Wissen und als Nichtwissen. Bildlich gesprochen versucht man beim Innovieren, möglichst viel dieses Eisberges auftauchen zu lassen. Denn für die Herstellung eines Produktes kann nur das verwendet werden, das über der Wasserlinie liegt. Alles, was unter der Wasserlinie liegt, ist jedoch eine Ressource dafür

Die gesamte Wirklichkeit lässt sich demnach durch drei Dimensionen aufspannen. Die eine Dimension ist die des impliziten und expliziten Wissens. Explizit ist jenes Wissen, das bereits kommuniziert oder zumindest dokumentiert wurde. In einem Innovationsprojekt ist es das Ziel, möglichst viel des relevanten Wissens explizit zu machen. Implizites Wissen hingegen steckt in den Köpfen von Menschen. Es kann manchmal durch Kommunikation explizit gemacht werden. Ein Großteil des Wissens wird jedoch stets implizit bleiben.

Eine weitere Dimension ist die des Bewussten und Unbewussten. Bei manchem Wissen ist uns durchaus bewusst, dass es existiert, doch genauso gibt es Wissen, dessen Existenz uns eben nicht bewusst ist. Dieses Wissen kann durch Zufall bewusst werden. Solche Zufälle lassen sich auch provozieren.

Nun gibt es noch die Dimension des Wissens und Nichtwissens. Zu jedem Wissen existiert auch eine unendliche Menge an Nichtwissen, das durch eine entsprechende Arbeit möglicherweise in Wissen umgewandelt werden kann und dessen Bedeutung meist völlig unterschätzt wird.

 

Dazu können nun unterschiedliche Fälle betrachtet werden.

  • Das bewusste, explizite Nichtwissen: Wir wissen also, welches Wissen uns fehlt, können dies auch benennen und durch eine gezielte Recherche zum entsprechenden Wissen machen. Wenn Sie in einer fremden Stadt den Weg zu einem Restaurant suchen, dann ist Ihnen bewusst, dass Sie ihn nicht wissen, und Sie können explizit danach fragen oder Ihr Smartphone konsultieren.

  • Das bewusste, implizite Nichtwissen: Kennen Sie diese Situation, in der Ihnen durchaus bewusst ist, dass Ihnen relevantes Wissen fehlt, Sie aber nicht benennen können, welches? Die Situation verunsichert, Sie müssen sich auf Überraschungen einstellen.

  • Das unbewusste, explizite Nichtwissen: Es ist eine Wissenslücke, die möglicherweise schon dokumentiert ist, Ihnen jedoch nicht bewusst ist. Die Wissenslücke ist vielleicht schon offensichtlich, doch Sie erkennen sie nicht und kommen auch nicht auf die Idee, danach zu fragen. Columbus kam beispielsweise nicht auf die Idee, dass es im Westen noch einen weiteren Kontinent geben könnte, obwohl er für die dortigen Einwohner offensichtlich war.

  • Das unbewusste, implizite Nichtwissen: Dies ist eine Wissenslücke, die Ihnen nicht bewusst ist, und selbst wenn Sie Ihnen bewusst wäre, würden Sie vielleicht keine Worte dafür finden. Sie können sich darauf in keiner Weise einstellen. Da es Ihnen nicht bewusst ist, belastet es jedoch auch nicht. Es kann allerdings durch irgendwelche Ereignisse jederzeit zum bewussten, impliziten Nichtwissen werden und damit die Verunsicherung im Vorhaben plötzlich erhöhen.

 

 

Um Innovationen zu fördern oder gar eine Innovationskultur zu etablieren, müssen Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, die das relevante Wissen optimal erschließen helfen. Oder anders gesagt, den Eisberg auftauchen lassen. Dies kann vor allem auch dadurch geschehen, dass die Mitarbeiter mit dem richtigen unbewussten und/oder impliziten Wissen in der Umwandlung des relevanten Nichtwissens in Wissen unterstützt werden – durch Anwendung der richtigen Instrumente und Methoden. Welche Möglichkeiten der Arbeit an der Erkenntnisgewinnung vorhanden sind und wie diese genutzt werden können, habe ich im meinem Buch INNERINNOVATION zusammengefasst. Lassen Sie sich überraschen, was Sie dabei entdecken. Anders als beim echten Eisberg ist die relevante Wirklichkeit „unter Wasser“ sehr bunt und unendlich ausdehnt.

 

Ergänzender Artikel: Der Kreativraum von Bernd Buck

 

Über den Autor:

Bernd Buck, diplomierter Physiker, hat in Konstanz Physik studiert und war anschließend als Entwickler, Entwicklungsleiter und Technischer Geschäftsführer bei ifm electronic gmbh tätig. Er ist als systemischer Organisationsberater mit Schwerpunkt Innovationsprozesse und Innovationskultur im Rahmen der Beratungsfirma TeamThink tätig.

 

INNERINNOVATION – INNOVATIONEN AUS EIGENEM ANBAU

Das Kreativhandbuch für systemisches Innovationsmanagement

Bernd Buck, Ulrike Buck

1. Aufl. 2014, 160 Seite, leinen, farbig

ISBN 978-3-902155-20-7

Leseprobe

Freitag, 19 September 2014 08:27

Der Kreativraum für Ihre Innovation

Ein Kreativraum ist ein Ort, der viele Freiräume für Neues eröffnet. Es kann bereits ein Stück Papier sein, auf dem man mit ersten Notizen oder Skizzen beginnt, Ideen zu visualisieren. Es kann aber auch ein Flipchart, eine Pinnwand, ein Besprechungsraum, ein großer Saal oder ein Freigelände sein. Zudem ist es denkbar, die Arbeit im Kreativraum mit Software zu unterstützen. Das Wesentliche an der Arbeit im Kreativraum ist das Visualisieren. Dies geschieht durch Gegenstände, Fotos, Zeichnungen, Prospekte, usw.

Der Raum wird bei INNERINNOVATION in fünf Zonen gegliedert. Dies sind zum einen die vier Raumecken, welche den vier Quadranten für die gemeinsame Orientierung am Sinn (Sensemaking) zugeordnet werden, und zum anderen die Raummitte, in der ein Bereich für das Prototyping geschaffen wird.

Füllen Sie die Ecken mit all den relevanten Gedanken, Ideen, Informationen oder Vorstellungen, die jeweils zur Verfügung stehen. Fangen Sie damit einfach an. Sie brauchen dazu weder ein Projekt noch große Kreativität. Ein wichtiges Prinzip der Arbeit mit dem Kreativraum ist die Leichtigkeit. Tragen Sie die Informationen zusammen, die leicht fallen. Je nach dem, ob ein Kundenwunsch, eine technische Neuerung, ein neuer Kooperationspartner, ein Markttrend, ein Geistesblitz oder noch etwas anderes der Ausgangspunkt für ein mögliches Vorhaben ist, beginnen Sie im entsprechenden Quadranten und füllen Sie anschließend die übrigen. Definieren Sie Ihr Vorhaben, sobald die Zeit dafür reif ist, und arbeiten Sie dann systematisch in der beschriebenen Reihenfolge weiter. Für die Arbeit im Team eignet sich besonders ein für das gemeinsame Vorhaben reservierter Projektraum. Soviel wie möglich wird hier an den Wänden, Fenstern oder Pinnwänden übersichtlich angeordnet. Der Raum sollte also möglichst ringsherum freie Wand- und Fensterflächen haben. Für das Prototyping wird das Experimentierfeld mit einem großen Tisch und den entsprechenden Arbeitsmaterialien mitten im Raum eröffnet.

 

Wie kann in der Praxis mit dem Kreativraum gearbeitet werden?

 

Am besten fangen Sie in der Praxis an, einen Kreativraum aufzubauen und die vier Quadranten mit dem gegenwärtigen Kenntnisstand zu füllen. Es hat sich als günstig herausgestellt, zunächst Informationen über die eigenen Möglichkeiten und Informationen über die Kundenbedürfnisse zusammenzutragen. Die Informationen werden kurz im Team präsentiert, um alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen. Erstellen Sie dann ein fiktives Kundenprofil (Persona), bevor Sie Ideen für mögliche weitere Kundenbedürfnisse sammeln. Danach sammeln Sie Ideen zu weiteren Möglichkeiten, die derzeit noch nicht existieren, aber vielleicht existieren könnten. Die gesammelten Informationen und Ideen werden nicht bewertet, sondern so, wie sie eingebracht werden, in den jeweiligen Ecken für alle sichtbar gemacht. Bis jetzt ging es nur darum, das richtige Umfeld für gute Lösungsansätze aufzubauen. Die Lösungsansätze selbst wurden noch zurückgestellt. Dafür folgt nun ein Brainstorming für Lösungsansätze. Danach bewerten Sie die Lösungsansätze und entscheiden, welche weiter verfolgt werden. Arbeiten Sie weiter, indem Sie etwas ausprobieren, gezielt nach weiteren Informationen suchen, über aufkommende Fragestellungen nachdenken oder mit weiteren Personen kommunizieren. Mit Ausprobieren ist das Herstellen und Testen von Prototypen gemeint. Aktualisieren und verbessern Sie die Inhalte der vier Quadranten mit den so gewonnenen Erkenntnissen. Klären Sie mit dem Team im Kreativraum, wie dann am besten weiter zu arbeiten ist. Durchlaufen Sie auf diese Weise mehrere Loops und lassen Sie Lösungsansätze dabei herausrieseln. Zeigen die Tests, dass Sie eine gute Lösung gefunden haben, freuen Sie sich und erarbeiten Sie eine Präsentation mit der Sie Ihre Kunden überzeugen können. Nehmen Sie sich am Ende Zeit für ein Review, um aus den Erfahrungen etwas für weitere Projekte zu lernen.

 

Über den Autor:

Bernd Buck, diplomierter Physiker, hat in Konstanz Physik studiert und war anschließend als Entwickler, Entwicklungsleiter und Technischer Geschäftsführer bei ifm electronic gmbh tätig. Er ist als systemischer Organisationsberater mit Schwerpunkt Innovationsprozesse und Innovationskultur im Rahmen der Beratungsfirma TeamThink tätig.

 

 

INNERINNOVATION – INNOVATIONEN AUS EIGENEM ANBAU

Das Kreativhandbuch für systemisches Innovationsmanagement

Bernd Buck, Ulrike Buck

1. Aufl. 2014, 160 Seite, Schweizer Broschur, farbig

ISBN 978-3-902155-20-7

Leseprobe

 

Rigidität ist ein Begriff, der sich erst jetzt in voller Tragweite für Unternehmen erschließt. Der zunehmende Zeit- und Leistungsdruck hat in den Unternehmen die Mitarbeiterführung häufig auf die Bestimmung und Kontrolle von Kennzahlen reduziert, mit Folgen, die sich dann mittelfristig zeigen in verringerter Identifikation, Leistungsbremsen und vor allem in den Schwierigkeiten, sich zu erneuern, zu verändern. Rigidität von Unternehmen ist Erstarrung in bestem Glauben, was nur durch Ausblendung gegenteiliger Wahrnehmungen möglich ist.

 

Der Ursprung des Begriffes liegt in einer Kennzeichnung von Persönlichkeiten, die laut Duden eine körperliche oder geistige “Versteifung“ zeigen. Allerdings fällt Rigidität nicht unter einen Krankheitsbegriff, denn dazu fehlt die Leidenserfahrung bzw. die unmittelbare Fremdgefährdung. Und genau dieses Fehlen von Problembewusstheit ist das Problem für Unternehmen, die von Menschen gelenkt werden und die dem unbewussten Drang folgen, sich gut zu fühlen und sich die eigene Sichtweise zu bestätigen.

 

Da Rigidität die Ausblendung von Wahrnehmungsbereichen ist, gibt es auch keine Zwischenformen. Es gibt nicht ein bisschen Ausblendung. Daher ist Rigidität wie eine Krankheit, die sich über die Hierarchie ausbreitet, zur Unternehmenskultur wird und sich so lange gegen Infragestellung wehrt, bis es zumeist für Reformen zu spät ist.

 

Formen im Unternehmen sind:

* Betonung von Tradition und bewährten Erfolgsrezepten

* Interne Homogenität und Kritiklosigkeit

* Verteidigungs- statt Eroberungshaltung

 

Gefährdet sind im Prinzip alle Führungskräfte, die sich nicht gern kritisieren lassen. Die Besonderheit der Position schafft die Anfälligkeit durch Fokussierung auf Prioritäten, Erfolgsbewusstsein und dem alltäglichen Stress. Dann wird Kritikscheu schnell zur Kritikabwehr und zuletzt zur Ausblendung der störenden Unsicherheit. Rigidität wird damit zur Herrschaft der unterbewussten Neigungen über die bewusste Wahrnehmung. Neurowissenschaftlicher beschreiben, wie unser Gehirn durch Automatisierungen erfolgreichen Verhaltens das bewusste Denken entlastet. Das ist auch lebensnotwendig, aufgrund der relativ sehr geringen Kapazität des bewussten Denkens. Diese Entlastung hat allerdings den Nachteil, dass sich „Erfahrung“ immer nur auf unmittelbar Erlebtes und die Vergangenheit bezieht. Unser Gehirn kennt nicht die Zukunft.

 

Wir können nur bewusst ansetzen und durch geeignete Erkenntnismethoden dafür sorgen, dass das Ausgeblendete für das Unterbewusstsein seine Bedrohlichkeit verliert. Für Führungskräfte wird es zu einer herausragenden Aufgabe, der emotionalen Seite bei Mitarbeitern und bei sich selbst Beachtung zu schenken, und vor allem dem Einfluss von Ängsten zu begegnen. Denn jegliche Veränderung ist unterbewusst vor allem Verlust und Risiko. Wir müssen in den Unternehmen dafür sorgen, dass immer beide Seiten gesehen werden. Der erste Schritt der Rigiditätsabwehr ist demgemäß eine emotionale Entlastung durch den Übergang vom ODER zum UND-Denken: Wir haben Stärken und Schwächen, es gibt Chancen und Risiken, es gibt immer eine Kehrseite. Dann wird es auch möglich, Kritikern wohlgesonnen zu bleiben und ihnen im Gegenteil dankbar zu sein für zumeist hilfreiche Denkanstöße. Wer etwas unternimmt, sollte nach vorn und zu den Seiten blicken. Der sollte immer auch offen sein für mögliche Risiken, aber auch für unerwartet auftauchende Chancen. Das offene Denken setzt natürlich auf Emotionen, allerdings auch positiv auf die Freude am Verändern, am Experimentieren, am Entdecken. Rigidität ist damit ein Phänomen, das die Unternehmen für das Überleben unmittelbar angeht, und das heute mehr als früher. Denn Rigidität ist Erstarrung und führt letztlich zum Tod des Systems Unternehmen. Die Vermeidung und Überwindung von Rigidität ist die Entscheidung für Entwicklung, für die Lebensfähigkeit des Systems.

 

Literatur:

Collins, J.:Der Weg zu den Besten. Campus-Verlag 2011

Reinke-Dieker, H.: Vorsicht Rigidität, literatur-vsm, Herbst 2014

Roth, G.: Fühlen, Denken, Handeln. Suhrkamp-Verlag 2013

 

Über den Autor

Dr. Heiner Reinke-Dieker, Dipl. Mathematiker, Dipl. Sozialpädagoge (FH), Dr. phil. in Soziologie, Systemischer Berater (SG-zertifiziert).

Seit über 30 Jahren ist Reinke-Dieker als Methodenlehrer/ Trainer und Coach von Führungskräften tätig. Dabei geht es mit unterschiedlichen Themenstellungen immer um das gleiche Ziel: Professionalität in der Mitarbeiterführung, und die geht über „guten Willen“ und „Bauchgefühl“ weit hinaus. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Vorbereitung und Moderation von Workshops, bei denen es um das Aufarbeiten von unverstandenen oder hartnäckigen Problemen geht, oder um die Beschäftigung mit der möglichen Zukunft des Unternehmens bzw. des Unternehmensbereiches. Zur Professionalität im Führen gehört nämlich aus seiner Sicht ein Offenbleiben für neue Sichtweisen, notwendige Verbesserungen und überraschende Möglichkeiten.

Er ist Autor von drei Büchern, u.a. „Vorsicht! Rigidität“, welches im Herbst 2014 erscheint.

Dienstag, 03 Juni 2014 08:26

Coaching Heute: Reifer und Emanzipierter

Coaching, so wie wir es heute verstehen, hat eine tiefe Reife erreicht. Es ist nicht mehr vergleichbar mit der „werkzeugkistenartigen“ Technik von früher, deren Zugang das „Reparieren“ war. Repariert wurde mit Coaching immer dort, wo ein Defizit entstanden war und an Stellen, an denen jemand Fehler gemacht oder versagt hatte. Und es ist auch nicht mehr vergleichbar mit einer „gurutreuen“ Beratungsform, die ohne transparente Technik arbeitete. In welcher der Coach plötzlichen Eingebungen und „Gespüren“ folgte, was am ehesten noch an wahrsagerische Glaskugel-Taktiken erinnerte. Wir sind davon überzeugt, dass Coaching sich schon längst aus der Schmuddel-Ecke befreit hat und mit ihr auch die praktizierenden Coaches. Wenngleich es eine irritierende Vielfalt an Angeboten und Coaches gibt (Lindner, 2011: 11): Von Ernährungs-, (Buch-)Schreibe- und Mediencoaching über Vocal- oder Stylecoaching bis hin zu Anti-Cellulite-Coaching (googeln lohnt sich) oder Body-Coaching. Autorenkollegen sprechen treffenderweise von „Bindestrich-Coaching“ (Lindner, 2011: 68).

 

Wir glauben, dass es heute in gelungenen Coachings nicht um die Entscheidung geht, ob „Hammer oder Meisel“ in einer Fragestellung ausgepackt werden sollen (vgl. Fischer-Epe, 2010: 29). Der Coach von heute arbeitet viel mehr an seinem Selbstverständnis, an seinem Menschenbild und flirtet in dieser Individualisierung gerne mit alten Philosophen und Denkern. Und dabei beschäftigen wir uns zentral mit dem Thema Ethik und Haltung. Und das tun wir weniger in der Theorie, denn das haben schon viele andere Autorenkollegen erarbeitet, sondern wir fokussieren auf das „wie“ und eine mögliche Umsetzung dieser Theorie: Wie führen wir Coaching-Gespräche und wie leben wir die Haltung.

Lassen Sie uns gemeinsam in den Kopf eines Coaches schauen: Dort entscheidet sich, wie das Coaching ablaufen wird. Das „wie“ hängt ganz maßgeblich von der Haltung des Coaches ab. Die Haltung eines Coaches lässt sich als innere Einstellung oder als persönliche Erfahrung umschreiben; sie beinhaltet alle Paradigmen und Grundannahmen des Coaches:

  • „Welche bewusste oder unbewusste Vorstellung hat der Coach von Kommunikation und wie diese ‚funktioniert‘?“

  • „Welches Bild hat der Coach von Menschen im Allgemeinen und von seinem Coaching-Klienten im Speziellen?“

  • „Wie beschreibt der Coach soziale Zusammenhänge und wie beschreibt er Veränderungsschritte von Individuen?“

  • „Welche innere Haltung hat er zum Coaching-Prozess?“

  • „Was ist seiner Meinung (und Erfahrung) nach möglich und was nicht?“

 

Die Antworten auf diese Fragen machen die Grundlage aus, die beim Coach mitschwingt, sobald er sich für eine Methode oder eine Technik entscheidet. Das meinen wir, wenn wir von Haltung sprechen. Und das ist der Zusammenhang zwischen Coaching und dem Kopf des Coaches.

 

 

Der moderne Coaching-Zugang hat sich also verändert: Er wurde allgemeiner, reifer und emanzipierter. Wahrscheinlich ist dies auch ein Grund, weshalb individuelles Coaching immer stärker nachgefragt wird. Diese Entwicklung ist möglicherweise den Effekten der Individualisierung und Globalisierung unserer Gesellschaft zu verdanken oder auch in den verschiedenen Tretmühlen des Alltags zu suchen (vgl. Binswanger, 2006: 47). Jedenfalls wird Begleitung und Orientierungshilfe sichtbar vermehrt gesucht. Dass es eine verstärkte Nachfrage für Coaching-Kompetenzen gibt, ist eine Tatsache an sich mit eigenen Ursachen und Gründen. Uns interessieren aber vor allem Wege im Coaching und Menschen, die als Coaching-Anwender ihre Kommunikation veredeln. Denn es ist ein Unterschied, ob sich ein Hilfesuchender an einen willigen Zuhörer wendet oder an eine Person, die Coaching-Kompetenzen besitzt. Willige Zuhörer für Problemsituationen finden Sie in unserer reflektierten Gesellschaft sehr zügig. Da jeder Mensch über eine Psyche und eine Persönlichkeit verfügt, gehen die meisten Menschen auch davon aus, dass sie bei „psychischen“ oder „persönlichen“ Fragestellungen weiterhelfen können. Natürlich kann jeder bei einem Freund, einem Arzt oder Seelsorger, einem Kollegen oder Vorgesetzten, innerhalb seiner Beziehung oder bei anderen nahe stehenden Menschen einen aufmerksamen Zuhörer finden. Und doch macht es entgegen der allgemeinen Annahmen einen bemerkenswert dramatischen Unterschied, ob der Zuhörer sich an gewisse Kommunikationsregeln hält und sich eine gewisse innere Haltung angeeignet hat (oder eben nicht).

 

Unsere Kernbotschaft ist: Jeder, der das möchte, kann sich die Fertigkeiten sowie die innere Haltung und Überzeugung für professionelle Coaching-Begleitung aneignen. Sowohl die Fragetechniken als auch die Fähigkeit, sich selbst inhaltlich aus dem Problem des Coaching-Klienten herauszuhalten, ist erlernbar. Denn betrachtet man Coaching auf diese Weise, dann handelt es sich in erster Linie um eine Haltung als um eine Technik. Es ist die Möglichkeit, anderen zu helfen, ihre Lösungen selbst zu erarbeiten. Im Umkehrschluss ist jedoch die Unkenntnis dieser Eckpfeiler bei vielen Zuhörern die Grundlage für scheiternde Beratungsgespräche oder Missverständnisse. Manchmal versperren Hilfsbedürftigkeit und persönliche Erfahrungen des Beratenden eine „unterstützende“ Kommunikation mit dem Hilfesuchenden. Und dann entstehen vielleicht Lösungsvorschläge, die mehr Bezug zum Ratgeber haben als zum Hilfesuchenden: „Ich an Deiner Stelle, würde es so machen (…)!“ oder „Als ich mal in einer ganz ähnlichen Situation wie Du war, hat mir Folgendes geholfen (…)!“. Diese oder ähnliche Ratschläge kennen Sie sicher auch aus Ihrem persönlichen Alltag.

Natürlich kann es durchaus einen Unterschied machen, ob der Coach eine jahrelange Erfahrung in der Coaching-Technik hat oder ob jemand gerade erst frisch mit dem Coaching begonnen hat. Dennoch sind wir fest davon überzeugt, dass auch ein „Neuling“, der sein Coaching-Handwerkszeug beherrscht, einem Klienten helfen und einen positiven Unterschied machen kann. (In jedem Fall bewirken Coaching-Fragen etwas anderes als Ratschläge.)

 

 

Literatur

Bartels, O. und Wundsam, K: Mein erstes Mal. Was Coaching alles verändern kann. Wien, 2011

Binswanger, M.: Tretmühlen des Glücks. Freiburg im Breisgau, 2006

Fischer-Epe, M.: Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Hamburg, 2010

Lindner, E.: Coachingwahn: Wie wir uns hemmungslos optimieren lassen. Berlin, 2011

 

Über die Autoren

Oliver Bartels
arbeitet als Führungskräftetrainer, Systemischer Unternehmens- und Prozessberater für Teams und Organisationen und Vortragender im In- und Ausland. Sein Herz schlägt für die Themen Coachingausbildung ("sollte jeder können") und systemische Beratung ("hätte ich das vorher gewusst...."). Er ist (Co-)Autor von mehreren Fachartikel sowie drei Büchern. www.OliverBartels.de
Dr. Kerstin Wundsam
ist als Fachbuchautorin, systemische Beraterin, Trainerin und Coach tätig und begleitet Führungskräfte aller Hierarchieebenen sowie Teams in komplexen Situationen und Veränderungsprozessen. Als leidenschaftliche Referentin konzipiert sie Trainings und Seminare (u.a. zu den Themen 'Leadership', Systemisches Coaching und Konfliktmanagement). www.kerstin-wundsam.de

 

 

Buchempfehlung:

Oliver Bartels / Kerstin Wundsam
Mein erstes Mal.  Was Coaching alles verändern kann
220 Seiten, ISBN Print: 978-3-902155-13-9, ISBN E-Book: 978-3-902155-18-4

Newsletter